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Empfindungen des Darstellers im tragischen Moment?

  • J.
  • J.s Avatar Autor
22 Jun 2010 08:50 #1064 von J.
Hallo in die Runde,

nachdem ich mich nun relativ erfolglos an vereinzelte Improvisationsschauspieler gewandt habe, versuche ich es mal hier bei euch.

Aktuell schreibe ich an meiner Magisterarbeit zum Themenbereich der Videospiele. In diesem Zusammenhang versuche ich herauszuarbeiten, wieso Videospiele nicht (besonders gut) in der Lage sind, mitfühlende Emotionen, wie z. B. Mitleid beim Rezipienten/Spieler zu wecken. Klassische kathartische Momente fehlen diesem Medium so gut wie gänzlich.

Strukturelle Ähnlichkeit zwischen Improvisationstheater und Videospielen lassen sich viele zeigen.

Meine Frage an euch, die Improvisationsschauspieler wäre nun, sofern ihr Erfahrungen mit tragischen Momenten habt:

1) Würdet ihr als Improvisationsschauspieler sagen, dass ihr von eurer eigenen Aufführung sowohl von der Entwicklung der eigenen Rolle, als auch von der Entwicklung ggf. anderer Rollen in ähnlichem Maß emotional Ergriffen (mit Fokus auf Mitleid) sein können wie ein "klassischer" Rezipient eurer Aufführung als Ganzes? Würden ihr sagen, "ich als Person leiden mit der von mir verkörperten Figur des X mit"? Oder schauspielert ihr "nur" spontan das zur Situation passende leidvolle Gebaren, wie es die Rolle "verlangt"?

2) Geht ein Improvisationsschauspieler so sehr in seiner Rolle auf, dass er mitunter vergisst, dass er schauspielert? Oder hat er sein "Handwerkszeug" sozusagen immer im Hinterkopf und ist sich er Schauspielsituation stets bewusst?

3) Kennen ihr Formen von Improvisations-Puppentheater?

Ich würde mich über Antworten freuen und stehe bei Nachfragen oder Diskussionsbedarf natürlich zur Verfügung!

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  • McCoy
  • McCoys Avatar Autor
23 Jun 2010 06:44 #1065 von McCoy
J. schrieb:

1) Würdet ihr als Improvisationsschauspieler sagen, dass ihr von eurer eigenen Aufführung sowohl von der Entwicklung der eigenen Rolle, als auch von der Entwicklung ggf. anderer Rollen in ähnlichem Maß emotional Ergriffen (mit Fokus auf Mitleid) sein können wie ein "klassischer" Rezipient eurer Aufführung als Ganzes? Würden ihr sagen, "ich als Person leiden mit der von mir verkörperten Figur des X mit"? Oder schauspielert ihr "nur" spontan das zur Situation passende leidvolle Gebaren, wie es die Rolle "verlangt"?


"klassischer" Rezipient :lol:
Wenn die Rezipienten dazu bereit sind und nicht ständig damit beschäftigt sind, originelle Vorschläge reinzurufen u. ähnliches, dann kann das durchaus der Fall sein.

Freilich schauspielern wir spontan und reagieren auf die Angebote der Mitspieler, oft ist da kein Platz für große Gefühle.
Mir geht es so, daß ich mein Spiel ernst nehme und auch mit der gespielten Figur fühle.
Wenn man sein Spiel nicht ernst nimmt (machen leider viele Spieler), dann merken das die Zuschauer und die Szene vermag nicht zu berühren.
Die komischsten Momente entstehen übrigens auch durch ersthaftes Spiel (Loriots Sketche z.B. hätten ohne die Ernsthaftigkeit von ihm und E. Hamann nicht die gleiche Wirkung gehabt)

Wenn nach einer Szene jemand zu mir sagt, daß er von meinem Spiel berührt war, ist das ein schönes Kompliment. Besser als viele Lacher geerntet zu haben.

Beim Impro ist man jedoch nie davor sicher, daß ein Mitspieler durch einen Gag die Dramatik wie eine Seifenblase platzen lässt..


2) Geht ein Improvisationsschauspieler so sehr in seiner Rolle auf, dass er mitunter vergisst, dass er schauspielert? Oder hat er sein "Handwerkszeug" sozusagen immer im Hinterkopf und ist sich er Schauspielsituation stets bewusst?


Also ich vergesse nie, daß es Schauspiel ist. Auch wenn die Szene noch so intensiv ist.

3) Kennen ihr Formen von Improvisations-Puppentheater?


Formen sind mir keine bekannt, aber Impro ist mit Puppen genauso möglich. Ob Kaspertheater, improvisierte "Muppetshows" oder Marionettentheater - alles ist vorstellbar.
Allerdings ist das Puppenspiel ein Tick schwieriger, weil man lernen muss, der Puppe Ausdruck zu verleihen.
Wenn das der Fall ist und gute Storyteller am Werk sind, kann das sicherlich unterhaltsam sein.


Gruß von McCoy
Ich bin Improspieler und kein Arzt

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  • J.
  • J.s Avatar Autor
23 Jun 2010 07:54 #1066 von J.
Herzlichen Dank für die ausführliche Antwort!

Wenn ich deine Antworten zu Frage 1 & 2 also richtig deute, würdest du schon sagen, dass du auf Grund tragischer Wendungen (improvisiert und vom beteiligten Publikum angeboten) durchaus mit der von dir verkörperten Figur mitfühlst - aber dir gleichzeitig stets bewusst bist, "nur" ein Schauspieler zu sein?

Folgende Situation als Beispiel:

Du spielst eine beliebige Nebenfigur und an deiner Seite ein Schauspielkollegin, in der Rolle einer jungen Mutter, durch Publikumseinwürfe kommt es zur Tragödie: Verkehrsunfall, der den Tod ihres Kindes zur Folge hat - und wieder durch Publikumseinwürfe nun in tiefer Trauer am Grab des jüngst verstorbenen Kindes steht.

Was fühlst du nun? Fühlst du Mitleid innerhalb deiner Rolle, weil diese mit der jungen Mutter befreundet war und es die naheliegende schauspielerische Reaktion ist, Mitleid mit dieser zu empfinden? Oder fühlst du, sozusagen außerhalb deiner Rolle als Du, als McCoy, Mitleid mit der dir indirekt dargebotenen Szene der trauernden Mutter?


Hierbei wäre ja mehr oder minder logisch, dass du in deiner Rolle zumindest Mitleid schauspielerisch zu vermitteln versuchst, eben als im Kontext der Trauer der Mutter sinnvolle Reaktion.

Aber empfindest du als private Person Mitleid mit der trauernden Mutter (?

Oder bist zu zwar zum Einen aktives Mitglied des Ensembles und daher innerhalb der gespielten Szene - andererseits aber durch Momente der Ruhe, in denen deine Ensemblemitglieder "um dich herum arbeiten" auch außerhalb der Szene und ein Betrachter dessen? Denn hier käme deine Anmerkung ins Spiel, nie zu vergessen, dass es Schauspiel ist. Folglich würdest du selbst in Momenten der Ruhe ja innerlich als Schauspieler denken und in dem Fall kaum in der sich abspielenden Szene Mitleid mit der trauernden Mutter fühlen.

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  • McCoy
  • McCoys Avatar Autor
23 Jun 2010 09:22 #1067 von McCoy
Du machst Dir ziemlich komplizierte Gedanken zum Thema Impro. Hast Du denn schon einmal eine Vorstellung gesehen?

Schweifen wir einmal etwas ab:
Das Publikum sollte nicht komplett den Szenenverlauf bestimmen, sondern die Spieler sollten assoziieren und sich durch Vorschläge inspirieren lassen.
So etwas wie Du es geschrieben hast dürfte sehr selten vorkommen, das Publikum ist normalerweise nicht so traurig drauf. Die Vorschläge sind oft albern, bei großem Publikum in Dunkelheit auch mal ordinär.


Zurück zum Thema:
Ein wenig sollte man die Rolle leben und sich hineinversetzen. Dann wirkt die ganze Szene auch glaubhafter. Ein solches Thema wie Du es beschrieben hast
würde mich ernst stimmen und ich könnte als Figur Mitleid haben. Ich kann z.B. heitere/traurige/wütende Situationen aus dem eigenen Leben während des Spiels im Kopf heraufbeschwören und sie für die Figur einsetzen.

Um Deine Frage zu beantworten: Im Allgemeinen berührt mich eine Szene als solches weniger.
Das ist auch sinnvoll, denn wie sollte ich das sonst so schnell abschütteln können, wenn die Szene danach heiter ist.

Oder ein anderer Fall: Es wird eine fiese Gegenfigur gebraucht, die der traurigen Figur schaden will.
(beim Impro "raising the stakes", das Problem wird noch verstärkt)
Um fies rüberzukommen muss man den Fiesling mit diebischer Freude spielen - auch wenn man im wahren Leben das nicht gut finden würde.
Wie Du siehst, sind zu viele persönliche Gefühle beim Impro doch eher hinderlich.


Gruß von McCoy
Ich bin Improspieler und kein Arzt

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  • J.
  • J.s Avatar Autor
23 Jun 2010 11:19 #1068 von J.
Zu meiner Schande habe ich mir bis jetzt noch kein Improvisationstheater angesehen - abgesehen vom TV-Programm.

Was die Heiterkeit betrifft, klar, Humor steht hier sicherlich im Vordergrund. Nur geht es mir bei der Problematik meiner Arbeit um bedrückende Emotionen, wie eben Trauer, Mitleid, aber auch Scham.

Du hast natürlich recht, durch die Schnelllebigkeit der einzelnen Emotionen wäre ein wirkliches Hineinversetzen in die Gefühlslage des eigenen Figur hinderlich. Im Grunde bist du ja eher mit den äußerlichen Symptomen der gebrauchten Emotion beschäftigt. Die du eben durch Imagination eigener Erfahrungen heraufbeschwören kannst - wobei hier fast die Frage wäre, wenn du dich für die Symptomatik trauriger Emotionen in traurige Erinnerungen zurückversetzt: fühlst du dich als Person McCoy dann nicht zumindest für den Bruchteil eines Moments traurig?

Alte Theatertheoretiker sind zB der Auffassung, dass zur schauspielerischen Darbietung von Trauer, das Mitführen der Urne des eigenen Sohnes hilfreich ist um an Authentizität zu gewinnen. Sprich "wahre Trauer" zu empfinden, wenngleich dann der Aspekt des Spiels fehlen dürfte und es eher einem "Zurschaustellen" gleich käme.

Im umgekehrten Sinne muss natürlich der Schauspieler in der Rolle eines Mörders nicht notwendigerweise selbst ein Mörder sein.

Mir scheint, die Problematik macht ein größeres Fass auf, als mir lieb ist. ;)


Ich halte jedenfalls fest, dass du sagen würdest, eine Szene berührt dich als Person (nicht deine verkörperte Rolle!) eher weniger - die Konzentration auf das "Handwerkszeug der Schauspielerei" steht im Vordergrund. Richtig?

Wenn ja, würd ich dich gern zitieren! ;) Du hast nicht zufällig eine ähnliche Aussage mal irgendwo in einem Interview gemacht? Oder irgendwas veröffentlicht, was eine ähnliche Aussage enthält?

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  • McCoy
  • McCoys Avatar Autor
24 Jun 2010 06:19 #1069 von McCoy
Improtheater im Fernsehen?

Schillerstraße?
Ist nicht schlecht, aber kein 100%iges Improtheater, da mit Requisiten gearbeitet wird und ein gewisser Rahmen vorgegeben ist. Beim "echten" Impro hat man im Prinzip genauso viele Möglichkeiten wie ein Filmemacher in Hollywood (Szenenwechsel, Zeitsprünge, beliebige Orte und Charaktere z.B.)

Frei Schnauze?
Na ja... hier werden die knalligsten Kurzformen
und Spiele aus dem Improtheater verwendet.
Gerne wird da auch "geblockt" und "gegaggt", was die Fernsehzuschauer sicher lustig finden.

Obwohl ich sagen muss, daß einige der Darsteller auch im Improtheater gut dastehen würden.


J. schrieb:


Wenn ja, würd ich dich gern zitieren! ;) Du hast nicht zufällig eine ähnliche Aussage mal irgendwo in einem Interview gemacht? Oder irgendwas veröffentlicht, was eine ähnliche Aussage enthält?


Ich hatte bisher weder Interviews noch Pressekonferenzen, wenn Du meine Postings zitieren möchtest, kannst du das gerne tun.
Ich befasse mich lediglich gerne mit Improtheorie, doch leider bin ich so ziemlich der Einzige hier, der im Forum darüber schreiben möchte.
Ein guter Improtheoretiker ist Dan Richter aus Berlin, den könntest Du auch zu diesem Thema befragen. Es ist unwahrscheinlich daß er hier mitliest, Du müsstest ihn auf seiner Homepage besuchen.

Gruß von McCoy
Ich bin Improspieler und kein Arzt

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